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Testierunfähigkeit
„Grundsätzlich gilt, dass ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen ist, da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet.“
Diesen Grundsatz hat das OLG Rostock in seinem Beschluss vom 11.4.2023, Az. 3 W 74/21 erneut betont und bestätigt.
Daraus ergibt sich, dass derjenige, der sich darauf beruft, eine Erblasserin habe aufgrund von Demenz nicht wirksam testieren können, die Testierungsunfähigkeit beweisen muss.
Nach der Rechtsprechung ist die Testierfähigkeit ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit. Sie setzt die Fähigkeit voraus zu verstehen, ein Testament zu errichten, abzuändern oder aufzuheben. Der Testierende muss erkennen, dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen Verfügungen aufweisen. Er muss in der Lage sein, die Tragweite seiner Anordnungen und die Wirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu erkennen.
In der täglichen Beratungspraxis sind häufig Aussagen zu hören wie: die Erblasserin sei nicht mehr Herr ihrer Sinne gewesen, habe eine schwere Demenz, befinde sich seit geraumer Zeit im Pflegeheim und könne nicht mehr selbstständig handeln und vieles mehr. Diese Behauptungen zielen sämtlich darauf ab, der betagten Angehörigen ihre Testierfähigkeit abzusprechen.
Dabei ist der aus des §§ 2229 Absatz 4 BGB entwickelte Grundsatz eindeutig. Es wird grundsätzlich von der bestehenden Testierfähigkeit ausgegangen. Die Ausnahme bildet die Testierunfähigkeit und muss daher bewiesen werden.
Dies kann durch psychiatrische Gutachten geschehen. Allerdings stellt sich häufig das Problem, dass die Testierfähigkeit in der Regel erst nach dem Tode der Erblasserin angezweifelt wird, somit keine Untersuchung der Person mehr möglich ist und sich ein Gutachten auf vorliegende Unterlagen wie z.B. Krankenakten, Aussagen von Ärzten stützen muss. Es sind hierbei hohe Hürden zu überwinden.
Wie auch das OLG Rostock ausgeführt hat: „Die Testierunfähigkeit muss … zur vollen Gewissheit des Gerichts feststehen“. Bestehen auch nur die geringsten Zweifel, ist von Testierfähigkeit auszugehen.
„Auch für den Betreuten besteht die Vermutung der Testierfähigkeit. Auch Störungen der Geistestätigkeit führen für sich genommen noch nicht zwangsläufig zur Testierungsunfähigkeit.“ – so ein weiterer Leitsatz des Beschlusses des OLG Rostock.
Die Testierunfähigkeit muss stets Einzelfall bezogen überprüft und nachgewiesen werden, was in der Praxis häufig nicht oder nur schwer möglich ist.
Teilweise wird vorgebracht, die Erblasserin habe in einem sogenannten „lichten Augenblick“ („lucidum intervallum“) gehandelt und testiert. Grundsätzlich können derartige Testamente Wirksamkeit entfalten. Allerdings dreht sich in diesem Fall die Beweislast um, es ist vom Vorliegen der Testierunfähigkeit auszugehen und der ausnahmsweise lichte Augenblicke nachzuweisen.
Insgesamt ist festzuhalten, dass in der Praxis der Nachweis der Testierunfähigkeit häufig nicht zu führen ist, auch wenn die Beteiligten vehement eine fortgeschrittene Demenz und langjährige Pflegebedürftigkeit behaupten.
Nicole Weiß
Fachanwältin für Erbrecht